Santo Stefano di Sessanio

Santo Stefano di Sessanio ist eine italienische Gemeinde mit 113 Einwohnern (Stand 31. Dezember 2016) in der Provinz L’Aquila in den Abruzzen und liegt 27 km östlich davon entfernt.

 

Der Ort liegt oberhalb des Tals des Aterno. Mit einer Höhe von 1250 m gehört er zu den höchstgelegenen Orten Italiens. Das Gemeindegebiet gehört zum Nationalpark Gran Sasso und Monti della Laga. Santo Stefano di Sessanio ist Mitglied der Vereinigung "I borghi più belli d’Italia" (Die schönsten Orte Italiens) und grenzt unmittelbar an die Provinz Pescara.

 

Santo Stefano war wie viele andere Bergdörfer auch, dem Verfall preisgegeben. Aber das Besondere an diesem Ort sind die Bemühungen, die Häuser zu restaurieren. Kleine Hotels laden die Besucher ein, die mittelalterliche Atmosphäre hautnah zu spüren. Restaurants, Bars, Cantine und Eisdielen sorgen für das leibliche Wohl.

 

Auch heute noch trifft man außerhalb des Ortes auf Schafherden, die wie einst von großen, weißen Abruzzenschäferhunden bewacht werden. Diese Hunderasse gilt als besonders geeignet, um die Herden vor Wölfen und Bären zu beschützen. Sie zeichnet sich durch ihre Wachsamkeit und Eigenständigkeit aus.

 

Im Mittelalter, unter der Herrschaft der Medici, war Santo Stefano der wichtigste Wollproduzent seiner Zeit. Die Wolle wurde nach Florenz zur weiteren Verarbeitung gebracht und von dort aus nach ganz Europa verkauft.

 

Aber auch hier in der Abgeschiedenheit der Abruzzen suchte die Bevölkerung nach einfacheren Wegen ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Durch die aufkommende Industrialisierung wanderten immer mehr Bewohner ab, Ende 2014 zählte der Ort nur noch knapp über 100 Einwohner. 

Santo Stefano di Sessanio is an Italian comune (municipality) with 113 inhabitants in the province of L'Aquila in the Abruzzo region, located about 27 km east of it.
The place is located above the valley of Aterno. With a height of 1250 m, it is one of the highest places in Italy. The municipal area belongs to the national park Gran Sasso and Monti della Laga. Santo Stefano di Sessanio is a member of the "I borghi più belli d'Italia" (The most beautiful place in Italy) and borders directly on the province of Pescara.
Santo Stefano, like many other mountain villages, was also given up for decay. But the special thing about this place are the efforts to restore the houses. Small hotels invite visitors to feel the medieval atmosphere. Restaurants, bars, cantine and ice cream parlors provide for the physical well-being.
Even today, sheep are found outside of the village, guarded by large, white Abruzzi sheepdogs. This dog breed is particularly suitable to protect the herds from wolves and bears. It is distinguished by its vigilance and autonomy.
In the Middle Ages, under the reign of the Medici, Santo Stefano was the most important wool producer of his time. The wool was brought to Florence for further processing and sold from there to all of Europe.
But even here, in the seclusion of Abruzzo, the population sought to earn their livelihood in a simpler way. As a result of the growing industrialization, more and more inhabitants emigrated. At the end of 2014 the town counted just over 100 inhabitants.

 


Die Häuser zerfielen mit der Zeit, bis der Ort im wahrsten Sinne des Wortes wieder wachgeküßt würde, von einem Touristen, der das Potenzial erkannte und anfing Objekte aufzukaufen und zu restaurieren.
Mehr dazu im Artikel der FAZ im Anhang.
Heute zieht der Ort schon wieder viele Rucksacktouristen und Tagesausflügler an.

 

The houses decayed with time until the place was again kissed again, by a tourist who recognized the potential and began buying and restoring objects.
Read more in the FAZ article in the appendix.
Today the town attracts many backpackers and day trips.

 


FRANKFURTER ALLGEMEINE
Die Geschichte von Santo Stefano di Sessanio liest sich wie die von einem italienischen Aschenputtel, das von einem blonden Prinzen wach geküßt wurde: Ein Italoschwede macht das verfallene Dorf in den Abruzzen zum Edelhotel.
Als in Italien zu Beginn dieses Millenniums noch gerechnet wurde, wieviel Geld der Finanzminister mit dem Verkauf oder der Vermietung staatlicher Kulturgüter einnehmen könne, wurden auch die „borghi medievali“ gezählt. Man kam auf etwa siebentausendfünfhundert der mittelalterlichen Örtchen. Keines wurde seitdem so konsequent mit dem Ziel wirtschaftlicher Erträge saniert wie Santo Stefano di Sessanio in den Abruzzen.
Der Ort liegt ziemlich abseits mitten im nördlichen Süditalien nahe Aquila, hat aber mit den damaligen kulturkommerziellen Blütenträumen der italienischen Regierung überhaupt nichts zu tun. Jede Renovierung, jede Sanierung der Bausubstanz und jede Verschönerung der Fassaden geht allein auf eine private Initiative zurück. Ihre Geschichte liest sich wie die von einem italienischen Aschenputtel, das eines Tages von einem blonden Prinzen wach und obendrein schön geküßt wurde.
Zuletzt wohnten noch siebzig Menschen hier.
Die Rede ist von dem Italoschweden Daniel Elow Kihlgren. Er hatte sich auf dem Motorrad bis tief in die Abruzzen treiben lassen und stand plötzlich am Fuße dieses halbverfallenen Dorfes, dessen Anblick sofort in ihm einen Plan entstehen ließ: Kihlgren wollte hier eine umfassende Rekonstruktion in Gang setzen, wie es sie selbst in Italien bislang noch nicht gegeben hatte. Privates Geld war vorhanden und ein autobiographischer Bezug auch. Denn der Enthusiast war zwar blond und in Schweden aufgewachsen, aber seine Mutter war aus Italien in den Norden gekommen.
Die Häuser in dem kleinen Ort kosteten nicht viel und schienen schon alleine vom Anschauen einstürzen zu können. Menschen lebten hier kaum noch, denn seit Mitte der fünfziger Jahre war Santo Stefano di Sessanio nach und nach verlassen worden. Die Bewohner suchten Arbeit und ein besseres Leben, meist in Argentinien, und hatten die Schlüssel, für die Zukunft irgendwann, bei den Zurückgebliebenen gelassen. Doch ihr Interesse daran wurde um so geringer, je mehr Zeit verging. Nach vier Jahrzehnten wohnten von ehemals dreitausend Einwohnern noch siebzig im Ort.
Heute bedeutet die Zukunft für Santo Stefano di Sessanio, ein Ort zu werden, in dem es mehr Schlafplätze für Touristen als für Einwohner gibt. Ohne daß an einem der perfekt sanierten Häuser die Aufschriften „Albergo“ oder „Hotel“ leuchten, wird Santo Stefano ein Hotel haben, das überall zu finden ist, ein „Albergo diffuso“, ein verstreutes Hotel, wie es hier genannt wird.
In fast allen der sanierten Gebäude hat es Zimmer parat - jedes ist anders, aber allen ist eines gemein: Sie sind auf geradezu pingelige Art rekonstruiert worden. Wenn das Baumaterial nicht das alte sein konnte, mußte es zumindest entsprechend den alten Traditionen entstanden sein. Dieses Primat der Tradition gilt vom Großen bis ins Kleine: Wer hier schläft, ruht auf feinsten Wollmatratzen, zugedeckt mit Leinen- und Wolldecken, wie sie hier vor hundert Jahren noch zum armen Alltag gehörten, aus dem die Einwohner verzweifelt emigrieren wollten. Sogar die Farbe mancher Tischdecken wurde nach uralten Rezepten mühselig angerührt.
Vor fünf Jahren begann Kihlgren sein Projekt, das mittlerweile Investitionen von mehr als vier Millionen Euro verschlungen hat. Während Kihlgrens Finanz- und Tatkraft an die Grundregeln, aber auch Ideal des klassischen Kapitalismus erinnern, sind seine Vorstellungen vom Tourismus eher philosophisch humanistisch geprägt: Die herkömmliche Standardsanierung italienischer „borghi“ bedeutet in seinen Augen immer den Tod des genius loci. Aber auch nicht die Veredelung oder die „Vermittelalterlichung“ der bestehenden Strukturen sind sein Ziel. Sie wären ihm eine „Ideologisierung des Ortes“, die Korrumpierung im Sinne des verheerenden Massentourismus und der marktführenden nivellierenden Tourismuskonzerne bedeute. Für Kihlgren sind dagegen, als sei er mehr Denkmalschützer denn Unternehmer, die sichtbaren Spuren des Lebens das Merkmal einer gelungenen Sanierung. Und diese Spuren sind in einem verlassenen Ort in Süditalien vor allem Spuren der Armut.
In einem der schönsten Zimmer von Santo Stefano di Sessanio übernachtet man in einem ehemaligen - Kuhstall. An der Wand hängen noch die Ringe, an denen das Vieh mit Ketten festgehalten wurde, und das Badezimmer war das Futterlager, dessen grobe Wände nur partiell von dezent cremefarbigen Kacheln bedeckt sind. „Überall wird mittlerweile der Ideal-Kachel-Standard in Rosa oder Blau verwendet. Die Menschen haben offenbar diese Sehnsucht nach dem Gleichförmigen“, begründet Kihlgren sein Vorgehen als Gegenstrategie. Der alte Holztisch, den er aufstellen ließ, sei „in seiner rohen Art ein Zeichen der Armut. Solche Möbel sind in den vergangenen Jahrzehnten immer wieder an römische Antiquare verkauft und zu Hause dann etwa von Ikea-Produkten ersetzt worden. Die Gleichförmigkeit wird als Zeichen des Wohlstands verstanden und als Zeichen, die Natur zu beherrschen, welche wiederum eine der Ursachen der Armut ist.“
Wunschtraum aller Denkmalschützer
Authentizität steht in diesem Projekt vor dem allgegenwärtigen Verwertungsbegriff der Markenware: „Fiat und Ferrari sind imitierbar und können eines Tages auch in China produziert werden, dieser Ort kann es nicht.“ So füllt denn Privatinitiative die modischen europäischen Hohlformeln von Qualität, Einzigartigkeit und Nachhaltigkeit mit Leben; ein Wunschtraum aller Denkmalschützer Europas und vor allem Deutschlands, wo vergleichbar pittoreske Orte kurz davorstehen, zu jener Gespensterstadt zu werden, die Santo Stefano di Sessanio vor einigen Jahren noch war.
Obwohl im gesamten Nationalpark der Abruzzen nur mit ähnlichen Vorgaben gebaut werden darf wie jene, die sich Kihlgren selbst auferlegt hat, ist es in direkter Nähe zum Ort weder ausgeschlossen noch baurechtlich untersagt, beispielsweise am Fuße der mittelalterlichen Siedlung Reihenhäuser aufzustellen. Noch scheint dies nicht besonders sinnvoll, denn das Städtchen liegt zwar herrlich, aber eben auch abseits. Doch die Ausweitung der nahen „strada statale 17“ auf vier Spuren hat schon begonnen.